Über Nacht abgeschoben – was in unserem Migrationsrecht falsch läuft
Ein Gastbeitrag von Annalena Wirth (KV Mannheim)
Zoufinar Murad ist Pflegerin. Freiburgerin. Sie arbeitete im dortigen St. Carolushaus – bis in einer Nachtschicht Polizisten kamen und sie abschoben.
Dass in einer Zeit, in der wir über Fachkräftemangel in der Pflege und Überlastung unseres Gesundheitssystems diskutieren, eben jene abgeschoben werden, die genau solche Fachkräfte in Ausbildung sind, das muss man nicht verstehen.
Dass jemand, der seit Jahren in Deutschland wohnt, sich hier ein Leben, ein soziales Umfeld aufgebaut hat und an unserem gesellschaftlichen Leben teilnimmt, abgeschoben wird, das KANN man nicht verstehen. Ich kann es zumindest nicht! Unsere grün-schwarze Landesregierung scheint jedoch immer wieder gute Gründe dafür zu finden. Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass uns in Baden-Württemberg ein solch schwerwiegender Fall beschäftigt.
Aber was passiert eigentlich bei einer Abschiebung?
Nach geltendem deutschen (AufenthG § 15 IV) und europäischen (Richtlinien 2011/95/EU, Art. 4) Recht hat jede:r Asylsuchende Anspruch auf die individuelle Prüfungs seines Antrags. Menschen, die keinen Aufenthaltsstatus haben bzw. deren Asylantrag abgelehnt wurde, werden ausreisepflichtig und müssen die Bundesrepublik innerhalb einer bestimmten Frist verlassen. Kommen Sie dieser Aufforderung nicht nach, können sie abgeschoben werden.
Für die Ausführung der Abschiebung sind übrigens die Bundesländer zuständig. Es gibt also definitiv Spielräume, in denen sich eine liberale oder eben, wie bei uns in Baden-Württemberg, konservative Landesregierung bewegen kann. Eine Abschiebung kann auch aufgeschoben oder sogar ausgesetzt werden – dann wird eine sogenannte “Duldung” erteilt.
Gründe dafür können völkerrechtlicher Natur sein, aber auch, wenn die betroffene Person eine qualifizierte Ausbildung absolviert, ein minderjähriges Kind mit Aufenthaltserlaubnis hat oder medizinische Umstände vorliegen, die im ausreisepflichtigen Land nicht zumutbar versorgt werden können. Die Geduldeten haben jedoch dadurch keinen gesicherten Aufenthalt.Sie können jederzeit abgeschoben werden und ihre Duldung ist befristet.
Warum im Fall Zoufinar keine solche erteilt wurde, obwohl sie sich zum Zeitpunkt der Abschiebung in einer Ausbildung zur Pflegekraft befand, kann nur mit einer gewissen Willkür der Ausländerbehörde begründet werden – und einer politischen Richtlinie der aktuellen Landesregierung.
Denn: Nancy Faeser ist eine hundertfach bessere und humanere Innenministerin als Horst Seehofer es jemals sein könnte. Das war spätestens klar, als sie direkt nach ihrer Amtseinführung den Rechtsextremismus zur größten Gefahr für unsere Demokratie erklärt hat. Faeser setzt neue Prioritäten und hat sich gerade diesen Kampf zur persönlichen Aufgabe gemacht .
Darüber hinaus hat die Ministerin ein Chancen-Aufenthaltsrecht gefordert. Das bedeutet: Wer einen abgelehnten Asylbescheid hat, aber seit mindestens fünf Jahren “geduldet” in Deutschland lebt, soll bei gelebter Integration ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen, dass zunächst für ein Probejahr erteilt wird. Das Gesetz wird nach der Sommerpause verabschiedet.
Mega gute Forderung, oder? Das einzige Problem: Bis diese neue Bleiberechtsregelung gilt, können die Ausländerbehörden weiterhin Menschen abschieben – und wie wir am Beispiel aus Freiburg sehen, tun sie das auch.
Das kann jedoch durch Vorgriffsregelungen verhindert werden – wenn also die oder der Innenminister:in des jeweiligen Bundeslandes (bzw. in Baden-Württemberg das für Migration zuständige Justizministerium) ihre Ausländerbehörden anweist, all jenen, die unter dieses neue Bleiberecht fallen könnten, Ermessensduldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen und vor Abschiebung zu schützen.
Das SPD-geführte Innenministerium in Rheinland-Pfalz hat das beispielsweise gemacht und den Ausländerbehörden nahegelegt, Abschiebungen der Menschen, die den Kriterien des neuen Chancen-Aufenthaltsrechts entsprechen können, “rückzupriorisieren”. Sie werden also erst einmal ausgesetzt, bis die neue Gesetzesänderung gilt und der Status wiederholt geprüft werden kann.
In Baden-Württemberg ist das bisher nicht passiert – und so, wie ich unsere grün-schwarze Landesregierung kenne, wird dieses Vorgehen noch nicht einmal diskutiert.
Eine Pflegekraft während des Pflegenotstandes ausweisen. Wirklich?!
Mal abgesehen davon, dass das Abschieben von Menschen, die in Deutschland integriert sind, sich ein soziales Umfeld aufgebaut haben und in ihrem Heimatland schlechte Bedingungen erwarten, absolut unsozial ist: Mir erscheint die Ausweisung einer Frau, die sich während des Pflegenotstandes für eine Ausbildung zur Pflegekraft entschieden hat, total widersprüchlich.
Pflegenotstand, jahrelanges Warten auf Kitaplatz oder Handwerker. Und gleichzeitig bestehen für viele geflüchtete Menschen in Deutschland hohe Hürden, Arbeit bzw. eine Ausbildung aufzunehmen – oft werden Abschlüsse nicht anerkannt oder die Möglichkeit einer Angleichung gar nicht erst geboten.
Eine sogenannte Beschäftigungsduldung wird erst nach 30 Monaten erteilt, jedoch nur, wenn eine Duldung bereits seit zwölf Monaten besteht und 18 Monate einer Beschäftigung von 35 Stunden pro Woche nachgegangen wird.
Skurrile Anforderungen,wie man am Beispiel Dayo sehen kann. Er lebte seit sieben Jahren in Deutschland und hatte einen unbefristeten Arbeitsvertrag, als er seine Duldungsverlängerung beantragen wollte. Dann wurde er verhaftet. Denn: Er hat nicht durchgehend 35 Stunden pro Woche gearbeitet, sondern teilweise nur “magere” 32,5 Stunden. 150 Minuten zu wenig … Ein Mann also, der seit Jahren hier lebt, unbefristet (!) angestellt ist, seine Steuern zahlt und seinen Lebensunterhalt selbständig bestreitet. WOW!
Eine Abschiebung kann mir hier niemand rational erklären.
Wie können wir uns über unbesetzte Stellen beklagen und gleichzeitig die Hürden für die Arbeitssuche und Ausbildung von Geflüchteten so hoch anlegen? Eine CDU-geführte Regierung ist dazu nicht möglich, das wundert mich nicht. Als Kanzlerpartei müssen wir uns jetzt dafür einsetzen, dass Abschlüsse unbürokratisch anerkannt werden und bereits während des Asylverfahrens die Möglichkeit einer Aus- und Weiterbildung geboten wird.
Wir brauchen eine Migrationsreform – ein neues Migrationsrecht, das der aktuellen Situation des Fachkräftemangels gerecht wird. Vor allem aber: ein neues Migrationsrecht, das human und menschenwürdig ist.
Sein Motto muss sein: Ausbildung statt Abschiebung!