Solidarität der jungen Generation – eine Pflichtschuld?
Ein Gastbeitrag von Luca Heilmann (KV Schwarzwald-Baar)
Was haben Friedrich Merz, Lord Voldemort und die Debatte über eine Dienstpflicht für junge Menschen gemeinsam? Man muss anscheinend unverhältnismäßig viele Horkruxe zerstören, bis sie endgültig verschwinden. In diesem Beitrag soll die in den letzten Wochen wieder aufgeflammte Debatte rund um eine Wiedereinführung von einem verpflichtenden Wehr- oder Sozialdienst für junge Menschen aufgegriffen und kritisch beleuchtet werden. Unser Sozialsystem steht vor immer größeren Herausforderungen und einem immer größeren Mangel an Fachpersonal. So ist es durchaus sinnvoll, zunächst jeden potenziellen Lösungsansatz zu diskutieren. Warum eine Rückkehr der (Sozial-)Dienstpflicht dennoch keine gute Idee sein könnte, lässt sich sowohl mit moralischen als auch mit praktischen Argumenten belegen.
Die moralischen Argumente
Die Tonalität der aktuellen Debatte zeigt leider eindrücklich, wie manche Politiker*innen junge Menschen sehen. So hört man immer wieder direkt oder indirekt, junge Menschen sollen „ruhig auch mal etwas an die Gesellschaft zurückgeben“. Es handelt sich hier nicht nur um eine fragwürdig abwertende Haltung. Sie ist schlicht falsch! Während den vergangenen drei Jahren war es insbesondere die junge Generation, die der Gesellschaft viel gegeben hat. Jedes Mitglied der Gesellschaft hatte in den letzten Jahren mit verschiedensten Belastungen zu kämpfen. Nur wurden junge Menschen hierbei leider besonders oft von der Politik übergangen und fielen durchs System. Als in Fußballstadien wieder lautstark gefeiert wurde, hatten Studierende oft noch nicht einmal wieder einen Zugang in die Bibliothek. Junge Menschen solidarisierten sich mit älteren Generationen und blieben – auch aus Rücksicht vor ihnen – zu Hause und büßten einen für ihre persönliche Entwicklung elementaren Lebensabschnitt ein. Die Forderung danach, „auch mal etwas zurückzugeben“, wirkt unter diesem Gedanken und insbesondere zu diesem Zeitpunkt fast schon hämisch.
Doch es geht noch weiter: Wer aktuell jugendlich ist, wird in den kommenden Jahrzehnten beachtliche Belastungen für die Gesellschaft tragen. Wenn die jetzigen Schüler*innen in die Berufswelt einsteigen und dann eigene Familien gründen, müssen sie die Rentenbeiträge der Generation der Baby Boomer tragen – was vermutlich zu stark steigenden Rentenbeiträgen führen wird. Sie selbst werden davon später keinen zusätzlichen Vorteil haben. Um ihre Rente zu sichern, muss die jetzige junge Generation wiederum selbst einmal mehr Kinder bekommen – diese müssen dann ebenfalls finanziert werden. Wer jetzt jung ist, wird später zwangsläufig eine finanzielle Doppelbelastung haben, damit unser Sozialsystem auch in zwanzig Jahren noch funktioniert. Zusätzlich bekommen junge Menschen und die Gesellschaft immer härter die Folgen des Klimawandels und seinen Folgeproblemen zu spüren. Wer in 5 oder 10 Jahren in die Berufswelt einsteigt, wird mit seinen Steuern für gesellschaftliche Belastungen zahlen, die wir uns heute vermutlich noch nicht einmal ausmalen können.
Fest steht also: Wer jung ist, hat in den letzten Jahren der Gesellschaft überdurchschnittlich viel gegeben – und wird dies in den kommenden Jahren zwangsläufig weiterhin tun. Auch ohne eine Dienstpflicht. Natürlich ist es sinnvoll, durch soziales Engagement zusätzlich einen Beitrag zu leisten und gleichzeitig positiv auf die eigene Charakterentwicklung zu wirken. Dies jedoch zu einer Pflicht zu erklären, verhöhnt all diejenigen vielen jungen (und alten) Menschen, die schon freiwillig soziale Arbeit leisten. Wer etwas zu einer Pflicht erklärt impliziert, dass es sonst nicht ausreichend getan wird. Dies ist aber nicht der Fall. Junge Menschen engagieren sich zahlreich in sozialen Einrichtungen, Sportvereinen, Kirchen und politischen Organisationen und leisten dort unbezahlte und extrem wichtige gesellschaftliche Arbeit – ganz ohne eine Dienstpflicht. Eine Pflicht ist per Definition ein Steuerungsinstrument. Und wo man etwas steuern muss, da läuft ohne die Steuerung etwas falsch. Diese Sichtweise ist höchst fragwürdig, da sie jungen Menschen indirekt vorwirft, sie seien nicht sozial genug eingestellt.
Die praktischen Argumente
Sollte der Pflichtdienst praktisch so organisiert werden wie aktuell das FSJ, könnte er auch zu sozial ungerechten Situationen führen. Man verdient währenddessen nur einen geringen monatlichen Betrag, der für ein eigenständiges Leben nicht ausreicht. Je nach finanziellem oder familiärem Hintergrund, können sich dies manche Personen schlicht nicht leisten, da sie in einer Berufsausbildung eventuell mehr verdienen würden. Auch in ihrer Umsetzung wirft die Idee Fragen auf. Sollte die soziale Dienstpflicht eingeführt werden, müssten plötzlich hunderttausende junge Menschen mit einem Dienstplatz in ihrer näheren Umgebung versorgt werden. Das stellt natürlich die Frage in den Raum: Wer soll sich denn um all die Menschen kümmern, wenn das System sowieso schon unterbesetzt ist? Man kann eine jugendliche Person nicht einfach in ein Krankenhaus stellen und erwarten, dass sie oder er dann schon irgendwie zurechtkommt und sinnvolle Dinge tut. Einarbeitungen, Seminare und Fortbildungen wären notwendig – die wiederum von bereits voll ausgelasteten Fachkräften betreut werden müssten. Es zeigt sich: eine Einführung würde viele praktische Probleme hervorrufen.
Abschließend soll noch angemerkt werden, dass soziale Dienste wichtig sind und es ebenso wichtig ist, junge Leute zu motivieren, diese zu absolvieren. Nur eben mit sinnvollen Anreizen statt einem staatlichen Zwang. Die Jusos haben hierzu auch konkrete Vorschläge gemacht: Eine höhere Vergütung oder das elternunabhängige BAföG sind hier zu nennen. Unsere Gesellschaft ist es allemal wert, sich für sie einzusetzen. Es ist die Aufgabe der Politik, dies den Menschen aller Altersklassen klar zu machen und einen guten Rahmen für freiwilliges Engagement jeder Art zu setzen – ohne eine Dienstpflicht für junge Menschen.