Geld vor Menschlichkeit? Europäische Seenotrettung jetzt!
Ein Gastbeitrag von Tim Reeth (KV Esslingen).
Über mehrere Tage hinweg stand die Suche nach dem vermissten U-Boot am Titanic-Wrack im Fokus der medialen Berichterstattung. Der Verbleib und die Rettung der fünf Insassen, welche für den Tauchgang jeweils circa 250.000€ bezahlt hatten, bewegten die Republik und alle Medienhäuser: Brennpunkte, Live-Ticker und zahlreiche Presseberichte wurden angeboten und genutzt.
Nur wenige Tage vorher ist ein Boot im Mittelmeer gesunken. Soweit eine Schlagzeile, welche uns ehrlicherweise wenig überrascht oder gar emotional betroffen macht. Fast schon „normal“ sind Schlagzeilen wie diese in den letzten Jahren geworden. Schockierend allein schon deswegen, dass wir bei solchen Katastrophen den Begriff „normal“ verwenden können. Aber nicht nur das: Bei diesem Unglück sind bis zu 600 Menschen ertrunken. Menschen, die auf der Suche nach Schutz und Zuflucht in Europa waren. Menschen, die scheinbar so verzweifelt gewesen sind, dass sie auf ein wackeliges Boot gestiegen und aufs offene Meer gefahren sind.
Während tagelang ausführlich über den tragischen Vorfall an der Titanic berichtet wurde, bewegte der grausame Tod von mehreren hundert Menschen unsere Medien sowie unsere Gesellschaft nur wenig. Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren: Vielleicht sind wir durch die Anzahl der gesunkenen Boote im Mittelmeer abgestumpft, vielleicht identifizieren wir uns einfacher mit den fünf Menschen im U-Boot, vielleicht gibt ein U-Boot die bessere Nachrichtenstory. Eigentlich ist das „Warum“ auch gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist es, dass wir uns dessen bewusst werden, was an unserer EU-Außengrenze, tödlich gesichert durch das weite Mittelmeer, passiert.
Während nach einem kleinen U-Boot im Nordatlantik, selbstgebaut zu touristischen Reisen an ein altes Wrack, tagelang intensiv zu Wasser, unter Wasser und aus der Luft gesucht wurde, sank ein paar Tage zuvor ein Boot im Mittelmeer und die wenige Hilfe kam zu spät. Gegen die griechische Küstenwache wird nun sogar ermittelt, da sie trotz ihrer Kenntnis über das Boot und dessen Lage nicht früh genug eingeschritten ist. Erzählungen zufolge habe ein später Schleppversuch durch die Küstenwache sogar erst zum Sinken des Boots geführt.
Das Mittelmeer ist riesig – viel zu groß, um jeden Meter genau überwachen zu können. Und auch viel zu groß, um es allein den Anrainerstaaten, wie Griechenland und Italien, zu überlassen, das gesamte Gebiet zu überblicken und Seenotrettung bereitzustellen. Denn dort kommt immer mehr das Gefühl auf, von den europäischen Nachbarn alleine gelassen zu werden – bei der Rettung wie bei der Versorgung der geflüchteten Menschen. Rechte Regierungen in diesen Ländern befeuern die Sorge in der Bevölkerung und machen so aus den Sorgen Angst und aus Angst Ablehnung.
Wir brauchen dringend eine solidarische, europäische Lösung. Damit Geld nicht mehr über der Menschlichkeit steht und damit jeder Mensch das gleiche Recht bekommt, aus dem Wasser gerettet zu werden. Bei der Suche nach fünf wohlhabenden Menschen, deren touristischer Ausflug schlimm geendet ist, scheinen Geld und Ressourcen keine Rolle zu spielen. Währenddessen ertrinken an der EU-Außengrenze aufgrund fehlender Rettungsschiffe weiterhin Tag für Tag unzählbar viele Menschen. Wir brauchen eine europäische Seenotrettung, um das Mittelmeer nicht weiter zu einem Massengrab für Menschen in Not zu machen.