Das KONTRA-Sommerinterview mit Takis Mehmet Ali
Takis Mehmet Ali (32) ist seit 2021 Mitglied des deutschen Bundestages für den Wahlkreis Lörrach-Müllheim. Seit 2012 ist Takis Mitglied bei der SPD, unter anderem war er stellvertretender Kreisvorsitzender der Jusos Breisgau-Hochschwarzwald. Er ist im Ausschuss Arbeit und Soziales und dem Petitionsausschuss.
Das Interview wurde von unserem Chefredakteur Marius Kipfmüller (KV Lörrach) durchgeführt.
KONTRA: Wie kam es dazu, dass du Beauftragter der SPD-Fraktion für die Belange von Menschen mit Behinderungen wurdest? Was sind dabei deine Aufgaben?
Takis Mehmet Ali: Bevor ich in den Bundestag eingezogen bin, habe ich für die Christopherus Gemeinschaft, eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung, gearbeitet. Ich war sechseinhalb Jahre als Leiter der Verwaltung und Soziales tätig. Zeitgleich war ich im Gesetzesausführungsverfahren SGB IX auf Landesebene in einer Projektgruppe der Liga der Freien Wohlfahrtspflege beteiligt und arbeitete hier am neuen Landesrahmenvertrag SGB IX Baden-Württemberg mit. Ich promoviere gerade auch zu diesem Thema, deshalb war es klar, dass ich Beauftragter der SPD-Fraktion für die Belange von Menschen mit Behinderungen wurde.
Zu meinen Aufgaben zählt die gesamte Inklusionspolitik. Also zum Beispiel, wie schaffen wir es, dass Menschen mit Beeinträchtigung in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden, oder wie wird Deutschland barrierefrei. Denn Bahnhöfe, Eingänge von Arztpraxen, etc. sind meist noch immer nicht barrierefrei. Mein gesamtes Büro steht der Fraktion dabei für Fragen zur Verfügung.
KONTRA: Viele Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten in Werkstätten, allerdings verdienen diese Menschen dort durchschnittlich 220 Euro im Monat. Dazu kommt es, dass viele Unternehmen keine oder zu wenige Menschen mit Beeinträchtigungen in ihren Betrieben beschäftigen. Wie schätzt du diese Lage ein?
Takis Mehmet Ali: Im Mai konnten wir im Bundestag ein Gesetz zur Förderung der inklusiven Abgabe beschließen. Dabei müssen Unternehmen höhere Zahlungen leisten, sobald sie die Quote der Beschäftigen mit Beeinträchtigungen in ihrem Unternehmen nicht erfüllen. Für die Menschen mit Beeinträchtigungen und die Unternehmen, die in einer Werkstatt arbeiten gibt es mehr Jobcoaching, Beratung und weitere Leistungen. Sofern ein Unternehmen Menschen mit Beeinträchtigungen aus einer Werkstatt aufnimmt, wird dies doppelt angerechnet, sodass diese Unternehmen nicht 1 sondern 2 Beschäftigte mit Beeinträchtigung eingestellt haben. Dadurch wird ein Anreiz geschaffen, um mutig zu sein.
Die SPD-Bundestagsfraktion plant noch in dieser Legislatur über die Zukunft für die Werkstätte zu beraten und ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Ein wichtiger Punkt dabei ist auch die Werkstattentgeldstudie, die wohl noch in diesem Monat erscheint und die den ‚Ist‘-Zustand umfangreich untersucht. Vermutlich wird sich der Lohn der Menschen mit Beeinträchtigung in den Werkstätten aus einem Mix aus Mindestlohn und höheren Grundstrukturen verändern. Ende des Jahres wird es die ersten Eckpunkte dieses Gesetzes geben. Aktuell zahlt das Bundesversorgungsamt die Rente für die Menschen mit Beeinträchtigungen, welche in einer Werkstatt arbeiten. Die Menschen haben weiter volle Ansprüche auf zusätzliche Leistungen und dies muss dazu gerechnet werden. Dadurch kommen sie aktuell auf viel mehr Geld als das, was auf dem Lohnzettel steht, d.h. auch, dass schon mehr Geld im System ist. Hier besteht das Problem, dass eine Werkstatt diesen Betrag nicht erwirtschaftet. Deshalb werden die Gesamtstrukturen der Werkstatt für das Gesetz genau betrachtet. Es darf nicht vergessen werden: Die Mittel, die für Menschen mit Behinderung in den Werkstätten zur Verfügung stehen, werden nicht selbst erwirtschaftet. Allerdings interessiert das die Menschen in den Werkstätten oft nicht, weil sie dieses Geld gern mit eigener Kraft verdienen möchten – was absolut berechtigt ist, es entstehen mitunter großartige Produkte!
Ich selbst habe im Bundestagswahlkampf Glückskerzen in einer Werkstatt von Menschen mit Beeinträchtigungen machen lassen. Dabei wurden Teekerzen gepresst und ein Wahlversprechen von mir zusammen verpackt. Diese Glückskerzen konnte ich im Wahlkampf verteilen.
KONTRA: Wie kann Deutschland barrierefrei werden?
Takis Mehmet Ali: Da gibt es in Deutschland sehr viele Baustellen. Zum Beispiel:
Die Bahn. Es kann doch nicht sein, dass Rollstuhlfahrer*innen einige Monate im Voraus anmelden müssen, wann und mit welcher Verbindung sie reisen möchten. Stell dir mal vor, du kannst nicht einfach so über das Wochenende zu den Jusos Baden-Württemberg fahren, weil du zu spät dich bei der Bahn gemeldet hast. Das muss an erster Stelle geändert werden, damit alle Menschen in ihrer Mobilität spontan sein können.
Zweitens ist die medizinische Versorgung ein Problem. Viele Ärzte im Dorf haben ihre Praxen nicht barrierefrei gestaltet, sei es durch den Eingang oder die zu kleinen Räumen bzw. eine fehlende Ausstattung, die Liste ist lang.
Zum Dritten ist der Wohnbau zu nennen. Alle Menschen profitieren von barrierefreien Wohnräumen – Eltern mit Kinderwagen bis Senior*innen. Der Wohnungsbau muss barrierefrei werden.
KONTRA: Du bist Mitglied der Arbeitsgruppe Migration und Integration. Was macht ihr dort?
Takis Mehmet Ali: Zum Beispiel haben wir in der Arbeitsgruppe Migration und Integration ein Positionspapier zum anstehenden EU-Asylkompromiss verfasst, damit die SPD-Bundestagsfraktion auch offiziell Stellung bezieht. Der Asylkompromiss wird auf EU-Ebene beschlossen, in der AG Migration und Integration beraten und positionieren wir uns. Dabei geht es teilweise auch um Themen die Menschen mit Beeinträchtigungen betreffen. Die Arbeitsgemeinschaft wird hochkompetent von Lars Castellucci geleitet.
KONTRA: Du selbst hast einen Pontosgriechischen Migrationshintergrund. Dies sind die Nachfahren jener Griechen, die im Altertum die historische Landschaft Pontos besiedelten. Was bedeutet dies für dich?
Takis Mehmet Ali: Ich bin der erste Pontosgrieche im deutschen Bundestag. Dies wird in der gesamten Community sehr positiv aufgenommen und geschätzt. Ich selbst habe es mir zur Aufgabe im Bundestag gemacht, dass der Völkermord an den Pontosgriechen aufgeklärt und aufgearbeitet wird. Bisher wurde dies nicht groß thematisiert, da die Ponotosgriechen als sonstige christliche Minderheit definiert wurden. In dieser Legislatur werde ich dazu eine entsprechende Initiative starten. Im September wird die Türkei 100 Jahre alt, die SPD-Bundestagsfraktion plant den Finger in die alten Wunden legen.
KONTRA: An welchen Gesetzen hast du bereits mitgearbeitet?
Takis Mehmet Ali: Immer wieder arbeite ich an unterschiedlichen Gesetzen mit. Die größten, an denen ich auch Mitberichterstatter war, waren das Bürger*innengeld, die Förderung zum inklusiven Arbeitsmarkt und das 8. Änderungsgesetz SGB IV.
KONTRA: Was ist dein Highlight aus deiner Zeit als Abgeordneter? Was war nicht so schön?
Takis Mehmet Ali: Das Highlight war ganz klar der Moment, indem Olaf auf dem Kanzlerstuhl saß, nachdem er beim Bundespräsidenten war. Im Bundestag herrschte eine voll gute Stimmung. Nicht schön sind jedes Mal die Begegnungen mit den Faschisten von der AfD und zwar überall: im Plenum, in den Ausschüssen oder auf den Gängen. Generell möchte ich betonen, wie wichtig es ist, dass die Abgeordneten Unterstützung von der Parteibasis erhalten im Kampf gegen Rechts. Die Abgeordneten sind das Aushängeschild der Partei vor Ort. Deshalb ist es wichtig, dass uns bei Hasskommentaren besonders die Genoss*innen vor Ort ihre Solidarität zeigen.
KONTRA: Wo bist du eigentlich lieber? In Berlin, Düsseldorf oder im Wahlkreis?
Takis Mehmet Ali: Alle drei Orte haben ihren eigenen Reiz für mich. Im Wahlkreis wohne und lebe ich, aus Düsseldorf komme ich und habe dort meinen Kern-Freundeskreis. Und Berlin hat einen schönen Lifestyle. In den Wintermonaten bin ich so wenig wie möglich in Berlin. Nach jeder Sitzungswoche freue ich mich auf meine Terrasse in Badenweiler, damit ich dort entspannen und arbeiten kann.
KONTRA: Sind Veranstaltungen der Jusos oder der SPD besser?
Takis Mehmet Ali: Die Partys der Jusos sind definitiv besser und lustiger. Meiner Meinung nach könnten beide bei den inhaltlichen Debatten voneinander lernen.