Bedingungen für eine neue Wehrpflicht : Eine Stimme für die Jugend

Veröffentlicht von KONTRA Redaktion am

Selin Akin ist seit 2021 Jugendgemeinderätin und seit 2024 auch die jüngste Stadträtin in Ludwigsburg. Sie möchte dort die Interessen der Schüler und Schülerinnen und jungen Erwachsenen vertreten.

Selin ist außerdem Pressesprecherin im Dachverband für Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg, der allen Mitgliedern der Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg durch zwei jährliche Vernetzungstreffen, Workshops und Schulungsangebote miteinander in den Austausch über aktuelle Themen bringt und politisches Handwerkszeug vermittelt. Das Thema der Wehrpflicht betrifft die Jugend unmittelbar, wird aber von Politikern entschieden, die selbst nicht davon betroffen sein werden. Ich spreche mit Selin Akin heute über die Pressemitteilung des Dachverbandes zum Thema „Wiedereinführung der Wehrpflicht“ und die darin enthaltenen Punkte, unter deren Berücksichtigung dieses Thema aus Sicht der Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg auf Bundesebene diskutiert werden sollte.

KONTRA: In dieser Pressemitteilung schreibt ihr zu Beginn, „es ist nicht die Frage, ob sie kommt, sondern wie sie kommt.“ Bedeutet das, ihr seid grundsätzlich dafür, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt werden soll?

Selin Akin: Es bedeutet tatsächlich erst einmal, dass wir gar keine Entscheidungsbefugnis haben, dass die Jugend in der Politik nicht genügend vertreten ist, um gehört zu werden. Aber zum anderen bedeutet es auch, falls die Wehrpflicht kommen sollte, müssen die Entscheidungsträger diese Punkte auf jeden Fall berücksichtigen.

KONTRA: Ihr fordert auch eine stärkere Einbindung der Jugend in diese Entscheidung. Wie könnte denn diese Einbindung konkret aussehen?

Selin Akin: Vor allem ist es wichtig, ein Jugendbürgerrat einzuberufen, mit Jugendlichen von überall und aus verschiedenen Gesellschaftsschichten – so wie es das bei anderen Themen auch schon gegeben hat. Natürlich auch die Berücksichtigung unserer Punkte oder vielleicht die von Dachverbänden anderer Bundesländer. Das würde die Jugend besser in die Diskussion und den Entscheidungsprozess mit einbinden.

KONTRA: Der nächste eurer Punkte in der Pressemitteilung ist ein flexibles Einstiegsalter. Bis zu einem bestimmten Alter soll dieses Pflichtjahr ausgesetzt werden können, um erst Studium, Ausbildung oder anderem nachgehen zu können. Richtet sich dieses bestimmte Alter dann nach der Begründung für einen Aufschub, also zum Beispiel bis zum tatsächlichen Abschluss der Ausbildung oder des Studiums?

Selin Akin: Uns wäre wichtig, dass vor allem junge Menschen, die sehr lange studieren müssen, ihr Medizin-, Jura- oder Lehramtsstudium auch erfolgreich abschließen können. Also man hätte die Optionen eine klare Altersgrenze zu setzen – wir fanden 35 Jahre dafür realistisch, oder sich individuell nach den Regelstudienzeiten des jeweiligen Studiengangs oder der Ausbildung zu orientieren. Ich persönlich würde es jedoch weniger an einem bestimmten Abschluss festmachen, da wir die Lebenssituation der Betroffenen nicht einschätzen können.

KONTRA: Ihr fordert flexible Alternativen zum Wehrdienst, wie ein soziales Jahr. Heißt das, es würde wahrscheinlich auch das FSJ ersetzen?

Selin Akin: Es gibt deutlich mehr als nur Soziales, also wir haben zum Beispiel im FSJ schon viele Möglichkeiten, auch für ein politisches Jahr. Ich sehe es als Problem, dass man inzwischen nur noch von Wehrdienst spricht und kaum noch vom gesamten Gesellschaftsjahr, obwohl es ebenso mehr junge Leute in die Bundeswehr bringen würde. Aber natürlich brauchen wir auch Alternativen im sozialen Bereich, im Rettungsdienst, und in der Betreuung und Pflege – dort fehlt es überall an Leuten. Man könnte da sehr gut auf bestehende FSJ- Strukturen zurückgreifen, aber beim bestehenden FSJ gibt es das Problem, dass die Bezahlung nicht der Arbeit entspricht, die man leistet. Und wenn nun ein gerechter bezahltes Gesellschaftsjahr geschaffen wird mit mindestens ebenso vielen Alternativen, würde es sicher das aktuelle FSJ ersetzen.

KONTRA: Dieses verpflichtende Jahr soll dann auch spätere Ausbildungs- und Studiengänge angerechnet werden können. Wie könnte so eine Anrechnung denn überhaupt aussehen?

Selin Akin: Es ist ja so, dass aktuell schon bestimmte Nachweise wie Praktika, FSJ, vorige Ausbildungen oder einfach Minijobs tatsächlich beim Bewerbungsverfahren um einen Studienplatz anerkannt werden. Die meisten Universitäten haben dafür ein Punktesystem, nach welchem eine Bewerbung berücksichtigt wird. Dort sollten dann auch Punkte für das Gesellschaftsjahr vergeben werden. Man könnte auch schauen, ob durch dort geleisteten Dienst vielleicht ein praktisches Modul in deinem Studium oder ein Pflichtpraktikum in einer Ausbildung wegfallen könnte.

KONTRA: Ihr plädiert für die Möglichkeit, in diesem Gesellschaftsjahr an Weiterbildungen teilzunehmen und den Führerschein finanziert zu bekommen. Sind diese Anreize denn sich sinnvoll, wenn das Jahr ohnehin verpflichtend wäre oder sollen dadurch nur bestimmte Dienste profitieren?

Selin Akin: Ich würde tatsächlich sagen, egal ob verpflichtend oder nicht verpflichtend, es wäre gleichermaßen wichtig, weil wir die Jugendlichen dafür ja auch begeistern wollen. Wir wollen ja, dass die jungen Leute auch nachhaltig etwas davon mitnehmen können. Man sollte natürlich schauen, in welchen Bereichen welche Qualifikationen sinnvoll sind. Aber zum Beispiel der Führerschein wäre in vielen Bereichen sinnvoll und da spreche ich nicht nur vom klassischen Wehrdienst, sondern tatsächlich von sehr vielen Tätigkeiten, bei denen man auf Fahrzeuge und Transport angewiesen ist.

KONTRA: Ihr möchtet, dass politisches oder ehrenamtliches Engagement geschützt wird.  In der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht heißt es, dass junge Männer, die sich für die Wahl zu Landtag, Bundestag oder EU-Parlament aufstellen lassen, auf Antrag zurückzustellen sind und für die Dauer des Mandats auch nicht einberufen werden dürfen. Außerdem konnte sogar komplett befreit werden, wer sich für mindestens zwei Jahre zum Entwicklungshelfer oder für mindestens vier Jahre im Katastrophenschutz engagiert hatte. Was würdest du denn da gern noch ergänzen?

Selin Akin: Also ich würde tatsächlich die Einsatzmöglichkeiten ergänzen. Es existieren sehr viele Jugendliche, die sich schon früh und lang engagieren in Jugendgruppen, Jugendorganisationen, Vereinen oder Parteien und dort teils sogar einen Vorstandssitz haben. Ebenso bei kommunale Mandatsträger*innen, da müsste man berücksichtigen, dass solche Menschen zumindest bei den Alternativen zum Wehrdienst wohnortnah eingesetzt werden können, damit sie die Möglichkeit behalten, in ihrer Freizeit noch diesem Engagement oder Amt nachgehen zu können. So könnte man sogar eine Verkürzung oder Freistellung bekommen, wenn man drei, vier Jahre lang Mandatsträger*in war oder sich anderweitig ehrenamtlich engagiert hat. Dann würde man zum Beispiel auch das ehrenamtliche Engagement wieder stärken. Aber natürlich würde ich mir allgemein eine Erweiterung und Anpassung dieser damals bestehenden Regelhaltungen wünschen, nicht nur in diesem Punkt.

KONTRA: Was ist für dich denn das wichtigste Anliegen aus eurer Pressemitteilung?

Selin Akin: Das Allerwichtigste für mich ist wirklich, dass man die Jugend mit einbezieht, dass man wirklich auf das eingeht, was die Jugendlichen beschäftigt, denn es gibt unglaublich viele Leute, die unglaublich gute Ideen haben. Abgeordnete sollten anerkennen: Es betrifft euch, also habt ihr definitiv ein Mitspracherecht – und wir müssen euch zuhören.

KONTRA: Vielen Dank für das gute Gespräch und, dass du dir die Zeit genommen hast!

                                                                                                                      Artikel von Julia Kreuder

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