Koalition oder sozialdemokratische Grundwerte: Ein Plädoyer für Menschenrechte
„Man muss auch mal das Licht sehen, nicht nur die Schatten“, las ich neulich in einem Kommentar zum Koalitionsvertrag. Gemeint war: Immerhin. Ein bisschen was geht doch. Doch genau diese Dramaturgie aus „Licht & Schatten“ verschleiert, worum es eigentlich geht. Es geht nicht um eine romantisierte Suche nach Lichtblicken. Es geht um die Frage: Ist dieser Vertrag eine tragfähige Grundlage für eine Regierung, die Stabilität schafft, die Demokratie schützt – und die AfD wieder halbiert statt verdoppelt?
Ich sage: Nein.
Kein „Nein“ aus Prinzip – sondern aus Verantwortung
Lass es mich klar sagen: Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Koalition mit der Union. Wer mit 16,5 % aus einer Bundestagswahl geht, kann nicht erwarten, dass sich das eigene Wahlprogramm eins zu eins im Koalitionsvertrag wiederfindet. Auch ich weiß: Kompromisse gehören zur Demokratie. Aber eine Koalition ist kein Selbstzweck – sie braucht ein Fundament. Und dieser Vertrag steht auf tönernen Füßen.
Denn wir reden hier nicht über kleine politische Unterschiede, sondern über Vereinbarungen, die in zentralen Bereichen nicht mit unseren Grundwerten, mit Menschenrechten und teilweise nicht einmal mit europäischem Recht vereinbar sind. Da geht es nicht mehr um Parteitaktik – sondern um Verlässlichkeit und Verfassungsfragen.
Rechtes Framing wird hoffähig – und regiert mit
Die Kapitel zu Migration und Asyl lesen sich streckenweise wie ein politisches Geschenk an die AfD. Wer Migration „begrenzen“ will, Fluchtrouten schließt und den Familiennachzug aussetzt und Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete wie Syrien und Afghanistan zulässt, bedient nicht nur rechtes Framing – er übernimmt es. Begriffe wie „irreguläre Migration“ oder das Streichen humanitärer Aufnahmeprogramme – das sind keine zufälligen Formulierungen. Sie erzählen eine Geschichte, in der Geflüchtete nicht mehr Menschen in Not sind, sondern ein Sicherheitsrisiko. Und das, darf nie unser Narrativ sein. Gleichzeitig sollen Asylverfahren durch Streichung des Amtsermittlungsgrundsatzes erschwert werden – ein Tiefschlag für unseren Rechtsstaat. Dieser Vertrag ist kein Damm gegen Rechts, sondern eine Schleuse, die ihn verstärkt und in die Umsetzung spült.
Sozialstaat unter Finanzierungsvorbehalt? Vertrauen sieht anders aus
Die Rückkehr zum Vermittlungsvorrang, die drohende Vollsanktionierung beim Bürgergeld, der Wegfall von Schonvermögen – all das erinnert mehr an Agenda 2010 als an eine moderne, sozial gerechte Politik. Gerade wir Jusos haben uns den Kampf gegen Hartz IV und seine verheerenden sozialen Spätfolgen auf die Fahne geschrieben. Und jetzt? Rollen wir das alles wieder zurück, als wäre nichts gewesen? Und obwohl die Mindestlohnkommission nun immerhin 15 Euro prüfen soll, herrscht bereits jetzt Streit zwischen SPD und Union darüber, ob diese Zahl überhaupt eine realistische Zielmarke ist. Kaum ist der Vertrag draußen, will Merz auch davon wieder nichts wissen wollen.
Wenn schon in den ersten Wochen vor der Koalition gestritten wird – wie soll das vier Jahre halten?
Zudem steht ein Großteil der sozialen Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt. Oder wird in Form weicher Absichtserklärungen formuliert. Ich frage mich: Wie glaubwürdig ist ein Koalitionsvertrag, der bei fast jeder Maßnahme ein „falls möglich“ oder „wird geprüft“ hinterherschiebt? Wo bleibt der politische Gestaltungsanspruch? Wie soll man hier ernsthaft das Leben der Menschen verbessern? Der Koalitionsvertrag zeigt in vielen Punkten schon vorab Vorhaben, die nicht verfassungskonform sind und vom Bundesverfassungsgericht einkassiert werden. Machen wir jetzt Politik, bis Karlsruhe sich beschwert und diese stoppt, wie es in den USA schon der Fall ist?
Ein Koalitionsvertrag muss mehr sein als ein Minimalkonsens
Die SPD braucht kein rot eingefärbtes Feigenblatt für unionsdominierte Politik. Sie braucht eine stabile Grundlage für eine Regierung, die handlungsfähig ist, Vertrauen zurückgewinnt und den Rechtsruck stoppt. Was wir bekommen haben, ist ein Vertrag, der die Spaltung vertieft und die SPD ihrer Identität beraubt.
Gerade jetzt – in einer Zeit, in der Demokratien weltweit unter Druck stehen – muss eine Regierungsbildung Verantwortung beweisen. Und Verantwortung heißt: Nicht jedem Vertrag zustimmen, sondern den Mut haben, Nachverhandlungen zu fordern, wenn Grundwerte unter die Räder geraten.
Deshalb: Stimmt mit Nein.
Nicht, weil wir Prinzipienreiterei betreiben. Sondern weil wir das Fundament für eine Regierung wollen, die trägt. Weil wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können, wenn Grundrechte eingeschränkt, Menschenrechte relativiert und soziale Errungenschaften unter Vorbehalt gestellt werden. Und weil wir überzeugt sind: Ein Nein jetzt ist der erste Schritt zu einem besseren Ja.
Angst ist kein Kompass für verantwortungsvolle Politik
Ich weiß, was viele beschäftigt: Die Sorge, dass eine gescheiterte Koalition mit uns der Union Tür und Tor für ein schwarz-blaues Bündnis öffnet. Doch wer glaubt, dass wir durch vorauseilenden Gehorsam eine CDU-AfD-Annäherung verhindern, der irrt.
Wenn wir jetzt einem Vertrag zustimmen, der Grundrechte schleifen lässt, europäische Standards verletzt und soziale Sicherung abbaut – nur, um „Schlimmeres“ zu verhindern –, dann legitimieren wir genau jene Diskursverschiebung, die Schwarz-Blau erst möglich macht. Dann räumen wir der Rechten das Feld – nicht trotz, sondern wegen unserer Kompromissbereitschaft.
Unsere Haltung muss sein: Nicht mit uns. Nicht auf unserem Rücken. Wir dürfen der Union nicht das Signal geben, dass sie sich nur weit genug nach rechts bewegen muss, damit wir brav nicken – aus Angst, sonst käme noch etwas Schlimmeres.
Politik braucht Mut, nicht Panik. Wenn wir uns jetzt aus taktischem Kalkül selbst aufgeben, wird es am Ende nicht die Union sein, die dafür bezahlt – sondern die Menschen, deren Rechte und Lebensunterhalt wir gerade preisgeben.
Ich stimme mit Nein. Aus Verantwortung. Für Glaubwürdigkeit. Für eine SPD, die wieder kämpft – nicht für Koalitionen, sondern für Gerechtigkeit.
Freund*innenschaft
Gasan

Das Beitragsbild wurde mit KI erstellt.