Neoliberaler Umbau statt fortschrittliche Bildung
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD verortet das Kapitel „Bildung, Forschung und Innovation“ fest im Rahmen einer wachstums- und finanzpolitischen Gesamtstrategie. Bildung wird hier primär als Rohstoff für den Markt verstanden – nicht als Gemeingut, in dem wir demokratische Selbstbestimmung und soziale Gerechtigkeit verankern. Aus moderner bildungswissenschaftlicher Perspektive lege ich im Folgenden dar, warum diese Politik an den wirklichen Problemen vorbeigeht und welche Forderungen wir JUSOS dagegensetzen sollten.
Bildung als Wachstumsmaschine statt als Menschenrecht
Der Vertrag erklärt Bildung gleich zu Beginn zum „Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes“ und ordnet sie unter die Absatzlogik von Wachstum und Innovation. So werden Schülerinnen und Schüler zu „Potenzialträger:innen“, die den BIP-Ausstoß anheben sollen, statt zu mündigen Bürger:innen heranzuwachsen. Sozialwissenschaftlich ist klar: Eine solche Ökonomisierung untergräbt pädagogische Kernziele wie Selbstwirksamkeit, kritisches Denken und solidarisches Handeln. Statt reflexiver Kompetenzen steht die Messbarkeit von „Leistung“ im Vordergrund.
Digitalisierung ohne demokratische Kontrolle
Der „DigitalPakt 2.0“ verspricht adaptive, KI-gestützte Lernsysteme und datengestützte Schulentwicklung. Doch wer kontrolliert die Algorithmen? Wo bleibt die demokratische Einbindung von Lehrkräften, Schüler:innen- und Elternräten? Moderne Medienpädagogik fordert partizipative Technologie-Entwicklung und Datenschutz als Bildungsstandard. Sie betont, dass Technologie nur wirkt, wenn sie in ein schülerzentriertes, inklusives Konzept eingebettet ist. Stattdessen soll Technologie als Allheilmittel verkauft werden, ohne verbindliche Qualitäts- und Ethikrichtlinien.
Flickenteppich-Förderung statt systemischer Gerechtigkeit
Sprach-, MINT- und Berufsorientierungsprogramme werden punktuell ausgebaut, dazu Ganztag und BuT-Modellprojekte. Doch ohne eine bundesweite, nach sozialen Bedarfen gestaffelte Schulfinanzierung bleibt es bei Flickenteppich-Lösungen. Bildungsforscher:innen fordern schon lange die Priorisierung von Schulen in benachteiligten Vierteln, Multiprofessionalitätsteams und echte Teilhabe vor Ort – nicht zusätzliche Bürokratie und Konkurrenz um Fördergelder.
Bundes-Länder-Kommission statt mutiger Bildungsrevolution
Die Koalition will eine Kommission zur „Entbürokratisierung“ und ein digitales „Bildungsverlaufsregister“. Ein solches Register ohne starke datenschutzrechtliche Sicherungen droht, Schülerdaten für Performance-Controlling zu missbrauchen. Echte Reform bräuchte ein Bundesbildungszielgesetz mit verbindlichen Qualitätsstandards, Mitbestimmungsrechten aller Bildungsakteur:innen und paritätischer Bund-Länder-Finanzierung – nicht nur einen weiteren Verwaltungsapparat.
Berufsorientierung als Kontrollinstrument
Statt Bildung als querschnittliche Aufgabe im Gemeinwesen zu begreifen, fokussiert der Vertrag auf Übergangsmanagement. Statt breit angelegter Persönlichkeitsbildung plant die Koalition, Pflichtmeldungen bei Jugendberufsagenturen einzuführen und Berufsorientierung „digital und datengestützt“ zu organisieren. Das klingt nach Früh-Tracking und Disziplinierung: Wer nicht ins System passt, wird als „Risiko“ markiert. Bildungswissenschaftlich gilt: Berufsorientierung muss in eine umfassende Lebens- und Mitweltorientierung eingebettet sein, die kulturelle, demokratische und soziale Bildung ebenso fördert wie ökonomische Handlungsfähigkeit.
Wenn wir Bildung wirklich gerecht, demokratisch und zukunftsfähig gestalten wollen, dürfen wir sie nicht weiter den Zwängen des Marktes unterordnen. Der Koalitionsvertrag bleibt hinter den bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Anforderungen zurück. Als JUSOS sollten wir stattdessen eine radikale Umkehr fordern: hin zu einem Bildungssystem, das Teilhabe garantiert, soziale Ungleichheiten aktiv abbaut und allen Menschen ermöglicht, selbstbestimmt und kritisch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Dafür sollten wir kämpfen– auf der Straße, im Parlament und in den Köpfen. Denn Bildung ist keine Ware – sie ist ein Menschenrecht.
