Lieber Assad, sind Gewerkschaften und Sozialpolitik noch ein Ding?
Am 1. Mai kommen Gewerkschaften und linke Parteien zusammen, um den Tag der Arbeit zusammen zu feiern, zu protestieren und zu debattieren.
Zu diesem Anlass hat unser Redakteur Yannick zusammen mit dem stellvertretenden Juso-Landesvorsitzenden und Juso-Chef aus Bruchsal ein Interview Rund um Arbeit und Ausbildung gehalten.
Assad ist 22 Jahre, Student im sozialwissenschaftlichen Master und veranstaltet selbst am 1. Mai ein Fest mit der IG Metall Jugend in Bruchsal.
KONTRA: Hallo Assad, schön dass du dir die Zeit genommen hast. Zu Beginn möchte ich dir eine Frage stellen, die mich schon länger beschäftigt: Haben die Gewerkschaften und die SPD den Bezug zueinander verloren?
Assad: Nein, ganz und gar nicht. Gewerkschaften und Sozialdemokratie – das gehört für uns Jusos zusammen. Wir kämpfen gemeinsam für gute Arbeit und gute Renten – Die Kolleg*innen in den Betrieben und wir in der Politik. Man sieht, dass unser gemeinsamer Kampf Früchte trägt: Mit dem Bundestariftreuegesetz geht der Staat als Vorbild voran und sorgt dafür, dass alle Unternehmen, die staatliche Aufträge erhalten, nach Tarif bezahlen müssen. Und es gibt noch mehr Beispiele: Die Ausbildungsplatzgarantie ist auch ein gemeinsamer Erfolg von Jusos und DGB-Jugend. Erstmals in der Geschichte unseres Landes haben junge Menschen das Recht auf einen Ausbildungsplatz.
KONTRA: Fehlt es hierfür aber nicht an Ausbildungsplätzen? Das Recht auf Ausbildung greift nur, wenn in einem Betrieb kein Platz gefunden werden konnte. Dann geht es für die Azubis in die außerbetriebliche Ausbildung. Sollte man nicht viel eher Betriebe zur Ausbildung verpflichten?
Assad: Wir haben es aktuell mit einem Fachkräftemangel in vielen Bereichen zu tun. Das auf der einen Seite zu beklagen, dann aber im eigenen Betrieb nicht ausbilden - das passt nicht zusammen. Betriebe müssen sehr viel mehr ausbilden. Sie tragen dabei eine große Verantwortung für den Fachkräfte-Nachwuchs. Das allein wird jedoch nicht ausreichen. Staat und Arbeitgeber müssen gemeinsam dafür sorgen, dass genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Eine Möglichkeit wäre eine staatlich geförderte Umlagefinanzierung, die alle Arbeitgeber in die Pflicht nimmt, entweder selbst auszubilden oder eben finanziell für Ausbildungsplätze aufzukommen. Unterstützen könnten dabei flächendeckende Jugendberufsagenturen in Stadt und Land, die dabei helfen, Ausbildungen zu vermitteln und passgenau beraten können.
KONTRA: Ein weiteres wichtiges Thema ist neben sicheren Ausbildungs- und Arbeitsplätzen auch die gute und faire Vergütung von Arbeit. Wie können sowohl Staat, als auch Gewerkschaften hier dafür sorgen, dass ein Gehalt knapp über dem Mindestlohn keine Regel ist?
Assad: („Gute Arbeit“ bedeutet für uns Sozialdemokrat*innen und Gewerkschaftler*innen gute Löhne, faire Arbeitsbedingungen, gute Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten.) In Deutschland ist die Tarifbindung in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen. Beschäftigte ohne Tarifvertrag arbeiten laut Deutschem Gewerkschaftsbund durchschnittlich 87 Minuten länger in der Woche und verdienen im Schnitt elf Prozent weniger als ihre Kolleg*innen mit Tarifvertrag. Das liegt unter anderem auch am Organisationsgrad der Gewerkschaften in unterschiedlichen Bereichen: Im Industriebereich ist die IG-Metall beispielsweise deutlich stärker organisiert als Ver.Di in kleineren Dienstleistungs- oder Digitalbetrieben – von denen es immer mehr gibt. Eine hohe Tarifbindung führt zu besseren Löhnen. Gewerkschaftliche Organisation der Beschäftigten ist dafür eine Grundvoraussetzung.
Eine Gewerkschaftsmitgliedschaft könnte durch steuerliche Absetzbarkeit der Gewerkschaftsbeiträge (über den „Arbeitnehmer-Pauschbetrag“ hinaus) attraktiver gemacht werden.
Ein weiteres Hindernis für die Tarifbindung sind die sogenannten „Ohne-Tarif-Mitgliedschaften“. Diese erlauben es Unternehmen Mitglied in einem Arbeitgeberverband zu sein, der es ihnen freistellt, ob sie sich an vereinbarte Tarifverträge halten. Das ist Tarifflucht und das muss abgeschafft werden. Da sehe ich die Bundesregierung in der Verantwortung, die Verschiebung des Machtverhältnisses zwischen den Tarifpartner*innen auszugleichen.
KONTRA: Zwar streiten sich immer wieder die Geister, ob Gewerkschaften gestärkt oder in Schach gehalten werden müssen. Besonders die CDU wettert bekanntlich immer wieder gegen Streiks. Gibt es deiner Meinung nach Bedarf, Gewerkschaften und ihre Macht zu stärken? Und falls ja, wie könnte so eine Stärkung aussehen, ohne damit Arbeitgeberrecht stark zu beschneiden?
Assad: Die Sozialpartnerschaft und der Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen sind ein deutsches Erfolgsmodell. Dennoch gerät diese Partnerschaft oftmals in eine Schieflage, weil die Arbeitgeberseite am längeren Hebel sitzt und Betriebsratsgründungen beispielsweise bewusst verhindert werden. Betriebliche Mitbestimmung und „betriebliche Demokratie“ ist jedoch essenziell, um die Interessen der Arbeitnehmerseite anzubringen und durchsetzen zu können. Da sehe ich die Unternehmen in der Verantwortung, gemeinsam mit ihren Beschäftigten für starke Betriebsräte zu sorgen. Denn wer am Arbeitsplatz mitbestimmen kann, geht nicht nur gerne zur Arbeit, sondern hat auch grundsätzlich ein höheres Vertrauen in unsere Demokratie, wie Studien belegen. Und das können wir als Gesellschaft aktuell gut gebrauchen.
KONTRA: Vielen Dank dir für deine Zeit. Eine letzte Frage habe ich noch: Bist du selbst Gewerkschaftsmitglied und warum?
Assad: Selbstverständlich. Ich bin Mitglied in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die DGB-Gewerkschaft für Erzieher*innen, Lehrer*innen, Beschäftigte in der Wissenschaft – und für Studierende! Ich kann es nur empfehlen, der Mitgliedsbeitrag für Studierende wird in Baden-Württemberg sogar von der GEW selbst übernommen – man zahl also keinen Cent, wird aber im Zweifelsfall in Streitigkeiten mit Prüfungsämtern oder der Universitätsverwaltung vertreten. Ich habe das zwar zum Glück noch nicht benötigt, aber man weiß ja nie.